Massendeportation aus dem Deutschen Reich

Bis zum Erlass vom 18. Oktober 1941, durch den Heinrich Himmler mit Wirkung vom 23. Oktober allen Juden die Genehmigung zur Auswanderung untersagte, hatten mehr als 265.000 Juden – die Reichsvereinigung nannte die Zahl von 352.686 Personen – das „Altreich“ verlassen. Im „Altreich“ lebten Ende Oktober 1941 noch 150.925 als Juden definierte Personen, darunter überproportional viele Frauen und Alte. Nachweislich wurden 131.154 dieser deutschen Juden deportiert. Zudem wurden fast 22.000, die zuvor in benachbarte Länder geflohen waren, später inhaftiert und verschleppt.

Mit dem 15. Oktober 1941 begannen die systematischen Massendeportationen deutscher Juden in den Osten. Im September 1942 befanden sich nur noch 75.816 Juden im „Altreich“. Mit der „Fabrikaktion“ im März 1943 war die Massendeportation abgeschlossen. Rund 15.000 Juden blieben zunächst von der Deportation verschont, da sie in Mischehe lebten oder sich versteckt gehalten hatten.

Zuständigkeiten

Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Verhältnisse der Reichsbank und der Deutschen Reichsbahn vom 10. Februar 1937 änderte sich der Name von Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) in „Deutsche Reichsbahn“ (DR), die organisatorisch dem Reichsverkehrsministerium angegliedert wurde. Damit war das Schienentransportwesen direkt unter die Hoheit des Reiches gestellt.

Nach dem Überfall auf Polen 1939 wurden die annektierten Teile Polens den Reichsbahndirektionsbezirken Oppeln und Breslau sowie den neu gegründeten Reichsbahndirektionen Danzig und Posen zugeschlagen; für den deutsch besetzten Teil Polens war die „Generaldirektion der Ostbahn – Gedob“ zuständig. Ab Januar 1942 übernahm das Reichsverkehrsministerium die Organisation des Bahnverkehrs im besetzten Teil der Sowjetunion (Generaldirektion Osten mit Sitz in Warschau). Im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war das Referat IV B 4 von Adolf Eichmann bei der Bestellung von Zügen beteiligt; für die Reichsbahn waren das Referat 21 „Massenbeförderung“ mit der Abteilung 211 „Reisesonderzüge“ zuständig.

Von Eichmanns Referat wurden die Sonderzüge oft sechs Wochen vorher angefordert und von der Reichsbahn in aller Regel wunschgemäß bereitgestellt. Im Dezember 1941 und 1942 wurden die Deportationstransporte reduziert, weil die Wehrmacht alle Kapazitäten für Weihnachts-Urlaubszüge beanspruchte. Eine allgemeine Transportsperre, die zur Vorbereitung der Sommeroffensive 1942 von der Wehrmacht verlangt wurde, bremste das Tempo der Deportationen, verhinderte sie aber nicht.

Am 26. Juli 1941 erließ die zuständige Abteilung E I im Reichsverkehrsministerium unter dem Ministerialdirektor Paul Treibe einen Sondertarif für Massentransporte von „Juden und fremdvölkischen Personen zur Aussiedlung aus dem Deutschen Reich“. Danach sollte mit 2 Reichspfennig je Kilometer „der halbe Fahrpreis 3. Klasse“ erhoben werden. Dieser Preis sollte auch für den Verkehr außerhalb der Reichsgrenzen gelten und wurde später gleichermaßen für die Personenbeförderung mit Güterzugwagen berechnet. Diese Transporte waren bestenfalls kostendeckend und die Deutsche Reichsbahn erzielte damit keinen nennenswerten Gewinn.

 

Die Reichsbahn und ihre Transportmittel

 

Für die ersten Deportationen der deutschen, österreichischen und tschechischen Juden in den Jahren 1941/1942 nach Litzmannstadt, Minsk, Kowno, Riga und in den Distrikt Lublin setzte die Reichsbahn regelmäßig Personenwagen ein. Auch für die ab Juni 1942 anlaufenden Massentransporte ins „Altersghetto“ Theresienstadt wurden jeweils für rund eintausend Personen rund 20 ältere Personenwagen dritter Klasse, einige gedeckte Güterwagen für Gepäck und ein Personenwagen zweiter Klasse für das Begleitkommando gestellt. Es folgten mehrere hundert zahlenmäßig kleinere, aber häufigere Transporte ins KZ Theresienstadt, für die die Reichsbahn jeweils ein oder zwei Personenwagen in fahrplanmäßige Züge nach Dresden und Prag ankoppelte.

Zur Datierung der 190 Züge mit mehr als 700 Personen – hierbei nicht aufgeführt ca. 400 kleinere Transporte zwischen Mai 1942 bis April 1945
Zur Datierung der 190 Züge mit mehr als 700 Personen – hierbei nicht aufgeführt ca. 400 kleinere Transporte zwischen Mai 1942 bis April 1945

Während im Osten Güterzüge mit durchschnittlich 3750 jüdischen Opfern als Passagiere rollten, wurden gedeckte Güterwagen innerhalb des Deutschen Reichs anfangs nur in wenigen Ausnahmefällen eingesetzt, um eine größere Anzahl nicht gehfähiger und liegend zu befördernder Kranker deportieren zu können. Der Einsatz von Personenwagen war nach Alfred Gottwaldt auf den Mangel an Güterwagen zurückzuführen; er vermutet aber überdies auch eine Täuschungsabsicht.

Der Nachschubbedarf und eingeräumte Vorrang von Militärtransporten führte zu Transportsperren, die aber nur geringfügige Verzögerungen bei der Deportation bewirkten. Zum Einsatz kamen im April 1942 auch „leere Russenzüge/Arbeitertransporte“ aus 20 umgebauten Güterwagen mit je 35 Sitzplätzen, die auf dem Rückweg für die Deportation genutzt werden sollten. Obwohl eigentlich nur für 700 Personen vorgesehen, sollten 1.000 Deportierte transportiert und zusätzlich Güterwagen bereitgestellt werden; auch das Begleitkommando sollte sich mit diesen Wagen begnügen.

Mit Sicherheit wurden ab Sommer 1942 auch in Deutschland mehrfach Güterzüge zu Deportationen eingesetzt; genaue Zahlen liegen nicht vor. Es gab einen speziellen Typ von „gedeckten Güterwagen“, der für Militärtransporte vorgesehen war; diese „Viehwaggons“ hatten Vorrichtungen für den Transport von sechs Pferden und konnten mit mobilen Bänken für 48 Soldaten ausgestattet werden. Wenn Überlebende im Zusammenhang mit Deportationen von „Viehwaggon“ sprechen, muss es sich jedoch nicht genau um diesen Wagentyp handeln. Tatsächlich waren die Deportierten tagelang wie Vieh zusammengepfercht, so dass sich das Bild vom „Viehwagen“ aufdrängt.

Die Reisegeschwindigkeit für Personen-Schnellzüge im Fernverkehr lag 1944 bei 50 Kilometern pro Stunde. Von Deportationszügen wurde kaum die Hälfte dieser durchschnittlichen Geschwindigkeit erreicht, da fahrplanmäßigen und Wehrmachtszügen durch Ausweichen und Abstellen des Judentransports auf Nebengleisen der Vorrang eingeräumt wurde.

Deportationsbescheid

 

Die Gestapo gab mit ihren „Richtlinien für die Evakuierung von Juden“ Ort und Tag vor, an dem sich die zur Ausreise genötigten Juden zumeist „zur Durchschleusung“ in einem Sammellager einfinden mussten. Von der Deportation ausgenommen wurden im Juni 1942 zum Beispiel Personen ab einer bestimmten Altersgrenze (diese wurde manchmal mit 60, mit 65 oder gar 68 angegeben), Beschäftigte aus Rüstungsbetrieben, Juden aus „Mischehen“, „Geltungsjuden“, Träger hoher Tapferkeitsauszeichnungen sowie Juden bestimmter Staatsangehörigkeit. Ferner wurden die Höhe des mitgeführten Bargeldes beschränkt und das Höchstgewicht des Gepäcks auf 50 kg festgelegt. Das Gepäck sollte durchsucht und Wertgegenstände sollten beschlagnahmt werden. Mitzubringen waren eine Wolldecke und Verpflegung für acht Tage. Die zur Deportation bestimmten Juden mussten eine Vermögenserklärung abgeben; ihre Wohnungen wurden versiegelt.

Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland verfügte über eine Kartei, auf die die Gestapo neben ihrer eigenen „Judenkartei“ zugriff. Auch regionale Zweigstellen der Reichsvereinigung mussten Karteien nach den Kriterien der Nürnberger Rassengesetze aufbauen. Die jüdische „Mittelstelle“ in Württemberg beispielsweise hatte auf dieser Basis sogar Deportationslisten für die Stapoleitstelle Stuttgart zu erstellen. Die örtlichen Mitarbeiter der „Reichsvereinigung“ mussten bei der Zustellung der Deportationsbefehle helfen; sie stellten Merkblätter für das Reisegepäck zusammen, halfen beim Gepäcktransport und sorgten für Verpflegung in den Sammelstätten.