Deportationszüge im Osten

Juden bei der Verladung in Züge mit Güterwagen am Umschlagplatz Warschau
Juden bei der Verladung in Züge mit Güterwagen am Umschlagplatz Warschau

Im Frühjahr 1942 war das Vernichtungslager Belzec fertiggestellt, Sobibor und Treblinka folgten im Sommer 1942. Die Reichsbahn führte den Transport aus den Lagern und Ghettos zu den Vernichtungslagern mit Güterwagen durch. Auch über weite Entfernungen wurden bei Deportationen im Osten – etwa aus Rumänien und Ungarn – fast ausschließlich Güterwagen eingesetzt. Hier stimmt die Wirklichkeit mit der „kollektiven Erinnerung“ überein, die durch ikonisierte Fotos von überfüllten gedeckten Güterwagen bestimmt wird.[71]
Juden bei der Verladung in Züge mit Güterwagen am Umschlagplatz Warschau
Reichsbahn-Telegramm vom 14. Juli 1942 über Gebühren für „Juden-Sonderzüge“ nach Auschwitz

Vertreter der Reichsbahn nahmen im September 1942 an einer „Konferenz betreffend die Evakuierung der Juden des Generalgouvernements und die Verschickung der Juden Rumäniens in das Generalgouvernement“ teil.[72] Insgesamt 800.000 Juden sollten deportiert werden. Vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD wurden dringlich angefordert

    zwei Züge pro Tag vom Distrikt Warschau nach Treblinka,
    ein Zug pro Tag vom Distrikt Radom nach Treblinka,
    ein Zug pro Tag vom Distrikt Krakau nach Belzec und
    ein Zug pro Tag vom Distrikt Lemberg nach Belzec.

Nachkriegsprozesse und Aufarbeitung

 

Deportationen standen am Anfang und als conditio sine qua non der Vernichtung der deutschen Juden, da die Verantwortlichen davor zurückschreckten, den Massenmord in Deutschland selbst durchzuführen.[73]
Platz der jüdischen Deportierten in Hamburg: Mahnmal und Erinnerungstafel
1001 entzündete Kerzen als Davidstern für 1001 Deportierte auf dem Trammplatz in Hannover zum 70. Jahrestag der ersten Deportation

Erst spät standen die Deportationen im Zentrum deutscher Strafverfahren. In dreizehn westdeutschen Verfahren und sechs ostdeutschen Prozessen mussten sich rund 60 höhere Gestapo-Dienstgrade dafür vor Gericht verantworten.

Von den Angeklagten, die in Ostdeutschland vor Gericht gezogen wurden, wurden zehn Personen zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Richter gingen davon aus, dass die Rechtswidrigkeit der Deportationen offensichtlich war und die Angeklagten ihre Tätigkeit aus Überzeugung, aus Gleichgültigkeit oder ihrer Karriere willen ausgeübt hatten. Die Prozesse begannen erheblich früher als in der Bundesrepublik Deutschland, doch gab es auch in der DDR Verfolgungsdefizite und die Leiter vieler Gestapo-Leitstellen blieben unbehelligt.

Meist nahmen westliche Strafverfolgungsbehörden ihre Ermittlungen verspätet auf. Delikte wie Freiheitsberaubung und Totschlag waren bereits verjährt. Von westdeutschen Gerichten wurden 38 Angeklagte freigesprochen. Neun Beschuldigte wurden verurteilt, zwei erhielten eine Haftstrafe von mehr als sechs Jahren, einer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die meisten Angeklagten argumentierten, sie hätten vom Völkermord nichts gewusst (vgl. Zeitgenössische Kenntnis vom Holocaust), sie machten einen Befehlsnotstand geltend oder beteuerten, sie hätten seinerzeit die Unrechtmäßigkeit ihres Handelns nicht erkannt.

Platz der jüdischen Deportierten in Hamburg: Mahnmal und Erinnerungstafel
Platz der jüdischen Deportierten in Hamburg: Mahnmal und Erinnerungstafel

Der Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium Albert Ganzenmüller war 1945 aus dem Internierungslager nach Argentinien geflüchtet. Sein Entnazifizierungsverfahren wurde verschleppt; Ganzenmüller kehrte 1955 zurück und arbeitete bis 1968 als Transportfachmann bei der Hoesch AG in Dortmund. 1957 ermittelte die Strafverfolgungsbehörde gegen ihn; Anlass war ein aufgefundener belastender Briefwechsel über „Judentransporte“. Die Ermittlungen wurden mehrfach eingestellt, führten aber 1973 doch zur Anklage: Ganzenmüller habe wissentlich Beihilfe zum Mord geleistet. Damit kam es 28 Jahre nach Kriegsende zum ersten Verfahren gegen hochrangige Reichsbahnangehörige. Zu einer Verurteilung kam es nicht; Ganzenmüller wurde auf Dauer verhandlungsunfähig.

Wer in anderen Funktionen, als Verwaltungsangehöriger oder Bürgermeister, in die Deportationen verstrickt war, blieb meist unbehelligt und kam straflos davon.

Die französische Bahngesellschaft SNCF verstrickte sich unter der Vichy-Regierung in die Durchführung von Deportationen. Mit einer Ausstellung stellte sie sich ihrer Geschichte, lehnte jedoch Entschädigungsansprüche ab. Die Deutsche Bahn sträubte sich lange, Flächen für eine entsprechende Ausstellung bereitzustellen oder andere Lösungen zu finanzieren. Erst nach Intervention von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee wurde die Wanderausstellung „Sonderzüge in den Tod“ im Januar 2008 im Berliner Bahnhof Potsdamer Platz eröffnet.

Am 29. September 2005 entschuldigte sich die staatliche Eisenbahngesellschaft der Niederlande Nederlandse Spoorwegen für die Beteiligung an der Judendeportation.

Mahnmale, Ausstellungen

 

„Sonderzüge in den Tod“ ist der Titel einer Wanderausstellung, die an die Reichsbahn-Transporte in die nationalsozialistischen Lager erinnert. Sie wurde 2006 in Frankreich und 2008 (in veränderter Form) in Deutschland in ca. 10 Bahnhöfen gezeigt. Die von der Deutschen Bahn in Zusammenarbeit mit Beate und Serge Klarsfeld gemeinsam mit einer Bürgerinitiative konzipierte Ausstellung integriert Elemente aus der Ausstellung „Enfants juifs déportés de France“, die über drei Jahre auf Bahnhöfen der französischen SNCF gezeigt wurde.

Die Gedenkstätte am Nordbahnhof Stuttgart zählt zu den wenigen größeren  Gedenkstätten direkt auf Bahngelände in Deutschland
Die Gedenkstätte am Nordbahnhof Stuttgart zählt zu den wenigen größeren Gedenkstätten direkt auf Bahngelände in Deutschland

„Zug der Erinnerung“ heißt eine einmalig über deutsche Schienen „rollende Ausstellung“, die 2007, 2008 und 2009 an die Deportation von mehreren hunderttausend Kindern aus Deutschland und dem übrigen Europa auf dem Schienennetz, mit dem Personal und rollendem Material der damaligen Reichsbahn in die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager erinnerte. Durch den Fokus auf eine Gruppe von Opfern soll der jungen Generation die innerliche Identifizierung mit den Opfern der Shoa erleichtert werden. Die Fahrt des Zugs begann am 9. November 2007 in Frankfurt am Main. Das Datum verwies auf die Verfolgungsmaßnahmen im Deutschen Reich. Es folgte eine etwa 3.000 Kilometer lange Fahrt durch Städte und zu den Bahnhöfen der SS-Deportationen.

Das Unternehmen DB, Rechtsnachfolger der DR, verweist auf seine 2002 eingerichtete Dauerausstellung zur Rolle der Reichsbahn im Zweiten Weltkrieg im DB-Museum Nürnberg (Verkehrsmuseum).

Das Deutsche Technikmuseum in Berlin porträtiert 12 Berliner Schicksale seit Oktober 2005 im Lokschuppen 2 im Rahmen einer Dauerausstellung „‚Judendeportationen‘ mit der Deutschen Reichsbahn 1941–1945“. Zentral ist dabei ein alter Güterwaggon zum „Transport von Vieh und nässeempfindlichen Gegenständen“ als Ausstellungsstück. Auch in anderen Gedenkstätten stehen sogenannte „Viehwaggons“ als Symbol von Deportation und Holocaust; sie können jedoch nicht als authentisches Relikt gelten. Weitere Mahnmale sind das Denk-Mal Güterwagen in Hamburg-Winterhude, die Gedenkstätte am Nordbahnhof Stuttgart, das Mahnmal Gleis 17 am Bahnhof Berlin-Grunewald und das Deportations-Mahnmal Duisburg Hauptbahnhof.